Einstimmig hat der Kantonsrat gegen den Willen der Bildungsdirektion am 16. November 2020 das Postulat KR-Nr. 210/2018 (Link) überwiesen und fordert damit, dass für den Unterricht in Anforderungsstufen der Klassenverband nicht mehr aufgelöst werden muss. Das könnte die Organisation mancher Sekundarschulen erleichtern!
Votum im Kantonsrat:
Dieses Postulat zielt auf die Auslegung und Änderung der Volksschulverordnung. Für eine Verordnung ist der Regierungsrat zuständig und nicht der Kantonsrat – dennoch, wenn wir diesen «Aufruf an die Regierung», wie man Postulate auch nennen kann, heute abschicken, meine Damen und Herren, bewirken wir viel. Deshalb machen Sie bitte mit!
Zuerst, lassen sie mich für die Nicht-Bildungspolitikerinnen versuchen, den Dschungel der Zürcher Sekundarschulmodelle ein bisschen zu entflechten, vielleicht werde ich Sie aber eher verwirren: A,B,C sind Abteilungen der Sekundarstufe, A ist diejenige, welche seitens der Jugendlichen die höchsten kognitiven Anforderungen voraussetzt, C hingegen eher für Lernziele, die nicht so hohe kognitiven Voraussetzungen erfordern. Jeder Jugendliche ist einer Stammklasse eingeteilt, die immer entweder zur Abteilung A, B oder C gehört, in manchen Schulen wird die Abteilung C aber gar nicht geführt (weil man minimal nur zwei Abteilungen führen kann) und in manch anderen Schulen mit drei Abteilungen sind die Abteilungen B und C zusammengelegt zu einer BC-Klasse, oder A und B zu einer AB-Klasse, was dann trotz drei Abteilungen doch nur zwei Lerngruppen pro Jahrgang gibt.
In diesen Stammklassen A oder B oder C werden die meisten Schulfächer unterrichtet: Natur- und Technik, Räume, Zeiten und Gesellschaft, Religion, Kultur und Ethik, Musik, Bildnerisches Gestalten und in den meisten Fällen auch Deutsch.
Die Fächer Mathematik, Englisch und Französisch – und eben, selten auch Deutsch – finden in vielen Schulen nicht in der Stammklasse mit der Abteilung A, B oder C statt, sondern in einer Niveaugruppe mit den Anforderungsstufe I, II oder III. Die I ist jene Gruppe, welche die Lernziele erreichen muss, die kognitiv am anspruchsvollsten sind.
Nun kann ein Kind in der Sek B sein und trotzdem, zum Beispiel, in Mathematik die Anforderungsstufe I erreichen. Oder in einer Sprache. Viel häufiger ist aber das Gegenteil, Kinder aus der Abteilung A, die in Französisch, Englisch oder Mathematik die zweite oder selten gar dritte Anforderungsstufe besuchen, manchmal auch in zwei oder drei Fächern.
Mit all diesen Möglichkeiten gibt es im Kanton Zürich nicht nur acht schulorganisatorische Möglichkeiten, wie die Bildungsdirektion in der Antwort auf dieses Postulat schreibt, sondern über dreissig verschiedene Modelle auf der Sekundarstufe, die im Kanton Zürich gelebt werden.
Mittlerweile weiss man, empirisch gestützt, dass die Schulstruktur, das Schulmodell, nicht für den Bildungserfolg verantwortlich ist. Es sind andere Faktoren, welche viel mehr bewirken. Beziehung, Lernmotivation, guter Unterricht, Einbindung des Schulumfeldes. Die Schulmodell-Diskussion ist weit weniger ideologisch, als noch in den 90ziger-Jahren. Schulstrukturen werden in Schulgemeinden und Schuleinheiten oft deshalb gewählt und angepasst, weil es organisatorisch, mit der Anzahl Kinder in den verschiedenen Anforderungsstufen, mit der Klassengrösse, mit den Fächerprofilen der vorhandenen Lehrpersonen, der Anzahl Stellen oder Vollzeiteinheiten, die einer Schule überhaupt zur Verfügung stehen, mit den Räumen Sinn macht.
Doch – und deswegen eben dieses Postulat – etwas ist heute nicht erlaubt: Nehmen wir an, aus einer Stammklasse A an einer Schule die in Mathematik Anforderungsgruppen führt, besuchen einige Kinder die Anforderungsstufe II im Mathematikunterricht.
Sie könnten wenn Mathematik im Stundenplan steht, ohne den Raum zu verlassen, ihr Lehrmittel für die Anforderungsstufe II hervornehmen. Die Lehrmittel sind heute so konzipiert, dass die verschiedenen Anforderungsstufen zur gleichen Zeit etwa an den gleichen Zielen arbeiten – und könnten auf ihrem Niveau arbeiten.
Das wäre kein Problem. Aber nein – hier schreibt uns die Volksschulverordnung vor, dass die Kinder sich unbedingt mit den Kindern aus der Abteilung B und der Abteilung C vermischen müssen, die auch in der Anforderungsstufe II sind. Sie müssen eine neue, gemeinsame Lerngruppe bilden.
Das kann manchmal Sinn machen. Nämlich wenn es sich um viele Schülerinnen und Schüler handelt. Wenn man Angst hat, dass sich die Anforderungsstufe I zu fest an der Stufe II orientiert im gleichen Schulzimmer, wenn es eine ungünstige Klassendynamik gibt, wenn die Lehrperson zu schwächeren Kindern keine Sprache findet. Auch das gibt es, auch umgekehrt.
In ganz vielen Fällen macht es aber keinen Sinn. Es verkompliziert im Gegenteil den Stundenplan stark. Denn wenn man aus allen Stammklassen die Jugendlichen mit der Anforderungsstufe II in Mathematik gleichzeitig in eine gemeinsame Lerngruppe stecken muss, dann müssen alle diese Stammklassen zur gleichen Zeit Mathematik haben. Und mit Französisch und Englisch ist es ja ebenso. Und die Kinder müssen pressieren mit Zusammenpacken in der 5-Minuten-Pause, in den anderen Stock rennen und im neuen Zimmer unter neuen anderen Kindern dort wieder das Material auspacken.
Sie spüren es schon: In ganz vielen Fällen wäre es um Welten einfacher, man dürfte die beiden Niveaus einfach miteinander unterrichten, auch wenn im Schulhaus Anforderungsstufen geführt werden. Dies zu legalisieren ist der Zweck dieses Postulates.
Die Bildungsdirektion argumentiert damit, dass ein solcher Unterricht anspruchsvoll sei. Ja. Aber…
Erstens, sind die Lehrmittel heute besser auf die unterschiedlichen Anforderungsstufen angelegt, als noch vor wenigen Jahren. Und auch die Lehrerbildung berücksichtigt dies, es gibt seit 2001, dem Start der PHZH, nur noch die Sekundarlehrperson für Mathematik – um bei diesem Beispiel zu bleiben – und diese ist im Gegensatz zu früher für alle Anforderungsstufen ausgebildet. Nicht nur entweder für Sek oder Real oder Oberschule, A oder B oder C oder I, II oder III. Nein, für alle: Mathematik auf der Sekundarstufe. Und wer, wie ich, nur für eine Stufe ausgebildet ist, hatte in den letzten zwanzig Jahren genügend Zeit, Erfahrungen zu sammeln, um mit allen Niveaus klar zu kommen. Soviel Professionalität müssen wir erwarten.
Zweitens ist es ja genau so anspruchsvoll – und trotzdem erlaubt – ganze Stammklassen zusammenzulegen. Landauf landab finden Sie BC-Klassen, manchmal sogar AB-Klassen, reine C-Klassen gibt es nur noch selten. Gemischte Stammklassen gibt es in Schulen die Anforderungsstufen führen, aber auch oft in jenen 51 Sekundarschulen, die keine Gruppen mit Anforderungsstufen führen. In diesen gemischten Klassen nehmen immer zum Beispiel die B-Schülerinnen das Lehrmittel für die Anforderungsstufe Stufe II in Mathematik, im Englisch und Französisch und die C-Schülerinnen dasjenige für die Stufe III – im gleichen Schulzimmer bei der gleichen Lehrperson in mehreren Fächern!
Was zudem genau so auch oft vorkommt ist, dass in Sekundarschulen, welche Gruppen mit Anforderungsstufen führen, zwei Anforderungsstufen in einer Gruppe fusioniert werden. Zum Beispiel die I und II gemeinsam unterrichtet werden.
Da es in diesen beiden Fällen heute legal ist, zwei Anforderungsstufen in einer Lerngruppe bei einer Lehrperson zu unterrichten, da dies sogar oft vorkommt – liebe Frau Steiner – kann es sich doch beim Verbot, dasselbe zu tun, wenn eine Sekundarschule Anforderungsstufen innerhalb einer Stammklasse führt – eigentlich nur um ein Versehen in der Verordnung, um einen kleinen Schönheitsfehler handeln.
Es dürfte – ganz im Gegenteil – zum Unterrichten zweier Anforderungsstufen gleichzeitig sogar einfacher werden, wenn nicht noch die soziale Neudurchmischung der Lerngruppe dazu kommt.
Geben Sie den Gemeinden diese organisatorische Möglichkeit In einigen wenigen Gemeinden legalisieren Sie damit übrigens eine bereits gelebte Praxis. Die Stadt Winterthur hätte dies gerne eingeführt, wurde aber wegen der Volksschulverordnung eben daran gehindert.