Demokratie verdünnen? Nein zu Bezirksfusionen

Ginge es nach einigen Gemeindebehörden, dann sollen gewachsenen Bezirke im Kanton Zürich gespalten und neu zusammengelegt werden und Gemeindeaufgaben übernehmen. Blöde Idee, weil sich auf Bezirksebene Entscheidungen und Verantwortung dem direkten Einfluss der Volksrechte entziehen. Und aus weiteren Gründen. SVP und FDP sowie wenige Einzelne aus anderen Parteien sprachen sich im Kantonsrat gegen die Überweisung der entsprechenden Behördeninitiative aus.
Der folgende Text lehnt sich an meinem Votum im Kantonsrat an.

Im Verband zu viele Gemeinden dagegen

Die Behördeninitiative ist eingereicht worden, weil der Gemeindepräsidentenverband nach einer denkbar knappen Vernehmlassung unter den Gemeinden zur Neuorganisation der Bezirke die Thematik nicht mehr voller Elan weiterführen wollte. Zu viele Gemeinden sehen in dem Projekt mehr Nach- als Vorteile.

Der Begründungstext der Initiative: Leere Phrasen. Der Kantonsrat bringt mit der Überweisung zum Ausdruck, dass ein x-beliebiger Text mit erfundenen und wirklich auch falschen Sachzusammenhängen ihn als Gremium zu überzeugen vermag. Dies, obwohl einige Räte in der Materie gut verankert sind und es daher besser wissen sollten.

Verkehrsnetz im Zürcher Unterland orientiert sich an Bezirken

So behaupten die Initianten in der Begründung, dass sowohl der Autobahnbau der 60ziger-Jahre als auch das Verbundsnetz des ZVV ab den 80ziger-Jahren zu einer fundamentalen Veränderung der funktionalen Räume und der Bevölkerungsorientierung geführt habe, während dem die Bezirksgrenzen – mit Ausnahme von Dietikon – dem nicht angepasst worden seien.

Doch gerade die heutigen Bezirke Bülach und Dielsdorf, die nach der Initiative «oben gespalten und unten zusammengelegt werden» sollten, gerade diese beiden Bezirke beweisen exemplarisch, dass sich die Bezirke entlang der Verkehrsströme befinden. Die Geländekammern geben es vor: Der Bezirk Bülach ist von Rafz oder von der Tössegg her Richtung der Hardwald-Gemeinden Kloten, Opfikon, Wallisellen und Dietlikon – und ja – von Norden her  – Richtung Zürich-Oerlikon orientiert. Der Bezirk Dielsdorf mit den Ost-West-Tälern Wehntal und Furttal und dem Stadlerfeld orientiert sich demgegenüber nach Rümlang, Dielsdorf, Regensdorf und erreicht Zürich von Westen her via Affoltern oder Seebach. Manchmal kaufen Dielsdorferinnen und Dielsdorfer auch in Baden ein, die Rafzerfelderinnen und Rafzerfelder demgegenüber in Schaffhausen und die Embracherinnen und Embracher in Winterthur. Aber zwischen Bülach und Dielsdorf gibt es nie Stau auf den Strassen. Somit stimmen Verkehrsströme und Bezirk heute bestens überein. Übrigens nicht nur im Unterland.

Beispiel Abwasser-Export: Grenzen bei Zusammenarbeit zwischen Gemeinden kein Hindernis

Nicht korrekt ist auch eine Vemischung: Was bitte schön haben die Aufgaben der kantonalen Verwaltungseinheit Bezirk (= Wahlkreise, Bezirksgericht, Statthalteramt, Aufsichtsgremium Bezirksrat über die Gemeinden, Polizeikreise, ….) mit den «funktionalen Räumen» auf Gemeindeebene zu tun, wie Planungsregionen, Regionalkonferenzen, Feuerwehrzweckverband, Sicherheitsverbund, Grundwassergewinnung oder zum Beispiel dem Glattnet? Das alles funktioniert zwischen Gemeinden problemlos über Bezirksgrenzen hinweg, schon heute! Sogar Länderübergreifend: Das Rafzerfeld (Bezirk Bülach Kanton Zürich), Weiach (Bezirk Dielsdorf, Kanton Zürich), Kaiserstuhl und Fisibach (Bezirk Zurzach, Kanton Aargau) – sie alle exportieren Abwasser in die gemeinsame Kläranlage nach Hohentengen, Deutschland, in die EU. Wenn das möglich ist, sollte es auch für die Glattalgemeinden Opfikon, Wallisellen, Kloten und Dietlikon kein Problem sein, im Glattal mit Dübendorf, Wangen-Brüttisellen oder Volketswil zusammenzuarbeiten, einmal angenommen, der Gegenstand der Zusammenarbeit sei mindestens ebenso attraktiv. Die Idee eines neuen Bezirks Glatttal prägt nämlich die Initiative. Für was, was nicht heute schon möglich ist?

Und wenn es für eine Zusammenarbeit zwischen Gemeinden wirklich einen eigenen Bezirk bräuchte, dann hätten die Initiantinnen und Initianten darauf fokussieren können, ohne den restlichen Kanton neu organisieren zu wollen.

Die Bezirke heute und nach neuer Vorstellung einiger Gemeindebehörden

Vermischung von Gemeinde- und Kantonsaufgaben

Grundsätzlich sind öffentliche Aufgaben entweder bei Gemeinden und beim Kanton angesiedelt und dort je von einer Exekutive (Gemeinderäte, Regierungsrat) ausgeführt und einer Legislative (Gemeindeversammlung/Parlamente, Kantonsrat) beauftragt und kontrolliert. Und die Bevölkerung hat ein Mitspracherecht, z.B. via Initiative. Auf Bezirksebene aber sind es nur die Exekutivbehörden, die Absprachen treffen, gemeinsames Handeln festlegen – auch wenn sie später die Geschäfte noch absegnen lassen. Genau um solcherart Bevölkerungsferne zu reduzieren, wurden mit dem neuen Gemeindegesetz bewusst Zusammenarbeitsformen zwischen den Gemeinden demokratischer definiert. Nun Bezirks-Moloche zu schaffen, die irgendwo zwischen kantonaler und gemeindeebene einen Teil der Aufgaben erfüllen: Das widerspricht der demokratischen Volksnähe. Es wäre zudem problematisch, wenn die Aufsicht über die Gemeinden auf der gleichen Ebene angesiedelt würde, wie die Gemeinden selbst operieren.

Diese Aufsicht ist eine kantonale Aufgabe, die in den Bezirken durch regional gewählte Bezirksräte ausgeübt wird. Und das macht auch Sinn: Bezirke sind dort sinnvoll, wo eine kantonale Aufgabe regionale Mitsprache und regionale Vertrauenspersonen erfordert. Das hat eigentlich gar nichts zu tun mit der gemeindeübergreifenden Zusammenarbeit. Lassen wir doch das System einfach so austariert, wie es heute ist!

Noch eine letzte Bemerkung:

Die Gemeindeexekutiven, welche diese Behördeninitiative eingereicht haben, haben die Unterstützung ihrer Bevölkerung und Parlamente nicht abgeholt, vermutlich wären sie auch da ohne Mehrheiten, mindestens in Freienstein-Teufen, Embrach, Bülach, die neben vier Glattalgemeinden mitunterzeichnet haben: Im Bezirk Bülach ist jede und jeder Richtung Kloten-Wallisellen-Zürich orientiert und nicht nach Dielsdorf oder Regensdorf, doch das habe ich schon ausgeführt.

Es wäre falsch, wenn der Kantonsrat mit diesem Geschäft Zeit verlieren würden. Und auch anmassend: Der Rat hat sich mit dem Gemeindegesetz, mit dem Finanzausgleich ausgiebig und während Jahren befasst, vor zwanzig Jahren wurde für die neue Kantonsverfassung eigens ein Verfassungsrat gewählt, der sich auch mit der Bezirksfrage beschäftigte. Und nun soll hier im Kantonsrat eine Kommission aus 15 Laien, die – laut gehörten Voten – zum Teil die Begriffe «Bezirk» und «Funktionaler Raum» nicht auseinanderhalten können – nun soll eine solche Kantonsratskommission den Kanton neu organisieren? Wir sollten vernunfts- und effizienzgesteuert, diese Diskussion überwinden. Wir können uns damit viel Aufwand für Nichts sparen.

Leider folgte der Kantonsrat diesen Argumenten nicht und hat die Behördeninitiative entgegen genommen. Immerhin nicht mit einem Glanzresultat (75 Stimmen).