Staat wird für Sprachlastigkeit ausgeweitet

Der Kanton soll neu Sprachaufenthalte für Mittelschülerinnen und Mittelschüler fördern. Diese Forderung der FDP bedeutet eine weitere Staatsaufgabe und kommt nur einer Minderheit der Jugendlichen zu Gute. Die Sprachlastigkeit des Schulsystems wird gefestigt. Die SVP wehrte sich.

Umfang und Kosten des Kantons bestimmt man eigentlich nicht in Budgetdebatten, sondern immer dann, wenn man neue Staatsaufgaben beschliesst. Diese kommen oft in einem sinnvoll wirkenden Kleid, so dass nur noch eine Minderheit von Kantonsrätinnen und Kantonsräten dagegen antritt. Besonders wenn das Preisschild fehlt.

Fremdsprachenlernen im Land der Fremdsprache: Sinnvoll, aber keine Staatsaufgabe.

Fremdsprachenlernen funktioniert am besten im fremden Sprachraum. Und für einige Wochen in einen solchen abzutauchen, schadet der Persönlichkeitsentwicklung eines Jugendlichen bestimmt nicht, im Gegenteil. Fremdsprachenaufenthalte für Mittelschülerinnen und Mittelschüler zu fördern, wie dies das Postulat 262/2019 der FDP will, ist deshalb auf den ersten Blick sinnvoll.

Et voilà: Schon sind wir bei der Frage: Lohnt sich dafür die Ausweitung des Staates und der Einsatz von Steuergeldern? Finden wir sonst noch Argumente, welche die Sinnhaftigkeit des Vorhabens in Frage stellen? Und mit Überlegen entdeckt man: Auf den zweiten Blick sieht die Sache anders aus. Hier die Liste:

  • Bevorzugung Sprachfächer: Das Postulat fordert eine kantonale Koordination für Sprachaufenthalte: Auch naturwissenschaftliche Projekt- oder die Wirtschaftswochen finden nicht kantonal koordiniert statt. Es gibt keinen Grund für eine Sonderrolle der Sprachen. Im Gegenteil: Die Schule ist bereits sprachlastig!
  • An Gymnasien haben die Schülerinnen und Schüler 13 Wochen Schulferien. Es kann Jugendlichen zugemutet werden, diese Zeit für Sprachaufenthalte und Auslanderfahrungen zu nutzen. Das braucht keine kantonale Koordination sondern etwas Selbständigkeit.
  • Selbst längere Sprachaufenthalte sind auf privater Basis problemlos möglich, sofern Jugendliche bereit sind, ihre Schulzeit ein Jahr zu verlängern. Für Schülerinnen und Schüler, die in einem anderen Land bei Gastfamilien wohnen und die lokale Schule besuchen ist sogar, ganz ohne Zeitverlust, der Schulbesuch in derselben Klasse möglich, die vor dem Sprachaufenthalt verlassen wurde. Organisationen: AFS (nonprofit Schüleraustausch) oder spezialisierte Sprachschulen wie EF , ESL, Linguista und viele Weitere.
  • Warum nur für Gymnasiasten? Auch Jugendliche in der Berufsbildung würden vielleicht gerne auf staatliche Leistung gestützt Fremdsprachenaufenthalte absolvieren. Die Forderung verstärkt die sowieso schon vorhandene staatliche Bevorzugung der Mittelschülerinnen und Mittelschüler.
  • Die Zeit bis zur Maturität wurde gegenüber früher gekürzt: Zuerst von 4.5 (Kurzgymnasium) resp. 6.5 (inkl. Untergymnasium) auf 4 resp. 6 Jahre und dann in Koordination mit dem Studienbeginn um weitere drei Wochen. Stillschweigend wurde im Rahmen der zweiten Kürzung beschlossen, im letzten Schuljahr nur ein Zeugnis auszustellen statt für jedes Semester eines. Es kann nicht sein, dass man nun dem normalen Schulalltag auf dem Weg zur Maturität weitere Zeit „wegnimmt“.
  • Sprachaufenthalte im Kollektiv (ganze Deutschschweizer-Gruppen) bringen kulturelle Erfahrungen, oft aber gar nicht ein effizienter Lernfortschritt in der Fremdsprache: Deutschsprachige unterhalten sich ausserhalb des Unterrichts auch im Fremdsprachenaufenthalt meistens mit Deutschsprachigen der Peergroup auf Mundart.

Fazit: Es gibt viele Vorbehalte und das bringt uns auf das wichtigste Argument zurück: Will ich für ein derart „wackliges“ Anliegen Steuern zahlen? Nein.

Leider ist die Ratsmehrheit dieser Argumentation nicht gefolgt, mit 45:123 Stimmen. Das Ergebnis war absehbar, bitter ist es trotzdem: Diese Staatsausweitung wurde von der FDP ins Spiel gebracht, die sich dann in Wahlkämpfen als «Partei für einen schlanken Staat und tiefe Steuern» brüstet.