Der Abstimmungsbildschirm sah bei der SVP aus wie eine Peperoni-Kiste: Ein Mix aus roten (Nein), grünen (Ja) und gelben (Enthaltungen) Punkten. Fast zum ersten Mal seit ich 2003 in den Kantonsrat gewählt wurde, lautete unsere Parole Stimmfreigabe. Zur Debatte stand die Kirchensteuer-Initiative der Jungliberalen, die Unternehmen von der Kirchensteuer befreien will – 100 Millionen oder ein Viertel der Einnahmen der Landeskirchen.
Juristische Personen kommen kaum in den Himmel
Es scheint logisch: Juristische Personen kommen kaum in den Himmel und gehören deshalb keiner Religionsgemeinschaft an. Demgegenüber stellen sich SP, Grüne, EVP, CVP und FDP auf den Standpunkt, Kirchen leisteten in Sozialem, Bildung und Kultur vieles, was Unternehmenssteuern rechtfertige.
Doch so einfach ist die Sache nicht. Zur Erinnerung: Soziales und Bildung sind auch die grössten Ausgabeposten bei Bund, Kantonen und Gemeinden, dafür zahlen Firmen bereits Steuern. Und die Landeskirchen werden mit direkten Beiträgen des Kantons (über 50 Millionen jährlich) und mit der Kirchensteuer natürlicher und juristischer Personen finanziert. Zusammengefasst: Der Bürger zahlt eine doppelte Sozialindustrie dreifach: Als Unternehmer, als Staatssteuerpflichtiger und als Kirchensteuerpflichtiger.
Aus liberaler finanz- und wirtschaftspolitischer Perspektive stimme ich dem Standpunkt der Initianten zur Abschaffung der Kirchensteuer für Unternehmen deshalb zu.
Ich frage mich aber, ob nicht die Gesellschaft der Zukunft auch die Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik der Zukunft bestimmt, und deshalb Gesellschaftspolitik noch wichtiger ist. Deshalb eine liberale Leitkultur (welch verpöntes Wort) zu unterstützen, ist legitim. Und Religionen sind kulturprägend.
Mehr oder weniger Primat der Vernunft
Die Zürcher Landeskirchen vertreten, verglichen mit anderen Religionsgemeinschaften, liberale und offene religiöse Haltungen und bilden so ein etabliertes Gegenkonzept zu Fundamentalismen. Ein Beispiel: Moralisierende Einmischungen der Geistlichkeiten in die Politik sind (sehr) ärgerlich, aber nicht sakrosankt. Schwangerschaftsabbruch und Gentechnologie werden bei uns politisch diskutiert, kein Dogma der Landeskirchen stört die Diskussion, die Kirchen diskutieren auch. Insgesamt herrscht in den Landeskirchen ein gewisser Gesinnungsliberalismus. Uns somit auf dem Platz Zürich mehr oder weniger das Primat der Vernunft. Eine wichtige Grundlage für unseren Wirtschaftsstandort.
Der insgesamte Gesinnungsliberalismus der Landeskirchen führt dazu – und rührt auch daher – dass Religion für die wenigsten Mitglieder dieser Kirchen den gleich hohen Stellenwert hat, wie sie im Leben von Fundamentalisten aller Religionsgemeinschaften einnimmt. Mehr persönliche Kirchensteuern bezahlt nur, wer Religon wichtig findet. Das heisst: Jeder Wegbruch von Steuereinnahmen stärkt fundamentalistische Positionen innerhalb der Landeskirche: Weil Fundamentalisten bereit sind, mehr zu bezahlen, weil Gesinnungsliberale austreten, wenn es teurer wird. Zudem wird das Budget der Landeskirchen, relativ zum Budget anderer Religionsgemeinschaften, kleiner: So schwankt die religiöse Säule des Vernunftsprimats am Standort Zürich. Das ist das Gegenteil der Stärkung einer liberalen Leitkultur. Und genau das ist auch der Grund, weshalb einige evangelikalen Kreise die Abschaffung von Kirchensteuern begrüssen. Die EDU hat diesen Standpunkt im Kantonsrat vorgeführt.
Mit der gesellschaftspolitischen Perspektive pflichte ich dem Standpunkt der Initianten deshalb erst dann bei, wenn Religionen, deren kulturellen Einfluss dem Wirtschafts- und Forschungsstandort Zürich schaden, ebenfalls in den Genuss von Steuermitteln kommen. Es ist gut möglich, dass genau dies dereinst im Sinne einer religiösen Gleichberechtigung gefordert würde. Bis es jedoch soweit ist, gilt es, das Liberale auch in der Religion als Leitkultur zu erhalten: Welche Kultur Leitkultur ist, ist langfristig gesehen die Frage einer Konkurrenz; die Rationalen und Liberalen in den Landeskirchen werden in diesem Wettbewerb nicht durch Migration gestärkt. Sie verstrahlen weder Autorität noch geben sie ihren Mitgliedern mit einprägsame Dogmen oder Wunderglauben Halt. Ihre Wettbewerbsvorteile sind allesamt vom Umstand abhängig, dass sie Landeskirche sind (womit bestimmte demokratische Organisationsstrukturen vorgegeben sind) und entsprechend Mittel erhalten.
Matthias Hauser, Kantonsrat SVP