Kadavergehorsam hat mit Sterben zu tun

Leider überwies der Kantonsrat am vergangenen Montag das Postulat von SVP, CVP und EVP zur Verhinderung des Sterbetourismus nicht. Dafür wird der Staat künftig regelnd eingreifen und somit zum “Player“ in der Frage vom Sterben.

Das Thema Suizidbeihilfe ist politisch heikel: Persönliche Biographie und Religion prägen die Haltungen – Ebenen des Menschseins, die mit einem Parteiprogramm wenig zu tun haben, ausgenommen bei der EVP, EDU und CVP.

Die SVP hingegen ist keine Kirche, sondern eine Partei. Wenn die Zürcher Landzeitung im ersten Satz über die Sterbetourismus-Debatte die “Abweichler“ in unseren Reihen hervorhebt, ärgert mich natürlich zu lesen, wegen den “Eigenen“ verloren zu haben. Auf den zweiten Blick freut mich aber, dass wir, obwohl grossmehrheitlich für ein Verbot des Sterbetourismus dennoch freiheitlicher als die FDP sind, die sich mit Fraktionszwang hinter Sozialguru Urs Lauffer beinahe so kommunistisch gebärdet, wie die SP im Winterthurer Gemeinderat. Dort muss vorgängig Antrag stellen, wer abweichend stimmen will. Mit Stimmenzwang das Sterben zu umfassen ist totalitär.

Sterbehilfe ist umstritten: Hat ein Mensch tatsächlich das Recht, den eigenen Tod zu bestimmen? Darf ich Hoffnungen meines Umfeldes nieder reissen? Darf ich Schuldgefühle bei anderen Menschen auslösen? Darf ich mich Pflichten meines Daseins entziehen? Persönlich bin ich der Meinung, dass es kein Recht auf Selbstmord gibt. Genauso wenig allerdings den Zwang zum jahrelangen Leiden. Zwischen diesen Gegensätzen, dem Unrecht “Selbstmord“ und der Tatsache, dass niemand jemanden hindern darf, eigenem Leid zu entfliehen, hat sich das reale Handeln der Gesellschaft vernünftig einzupendeln. Dies gelang betreffend Sterben in der Heimat auch ohne staatliche Regelung gut (z.B. EXIT). Diese Balance würde durch Einmischung des Staates gestört: Durch Festlegen von Richtlinien übernähme das Gemeinwesen genau jene Verantwortung, die in dieser Sache nur der einzeln Betroffene tragen kann. Denn Richtlinien schaffen immer Legitimation: Die persönliche Frage, ob man sterben darf, wird staatlich mit „Ja“ beantwortet, sofern die Richtlinien erfüllt sind. Dem Individuum das Gewissen rund ums Sterben zu nehmen, bedeutet aber, die definitivste aller Verantwortungen zu schmälern. Gerade ein Staat der so sehr auf die Verantwortlichkeit seiner Bürger angewiesen ist, wie die direktdemokratische Schweiz, darf dies niemals tun. Der Arm einer anonym-kollektiven Regulierung darf nicht bis ins Herz der Bürger reichen. Bundesrat Blocher verweigert zu Recht eine eidgenössische Regelung.

Leider bringt nicht nur die Intervention des Staates die Balance des Gewissens zum kippen, sondern auch die Regelungslücke: Wenn Sterbehilfe-Organisationen wie Dignitas nicht nur diskret Willige begleiten, sondern ihre Möglichkeiten “vermarkten“: Der Verkauf eines Standartverfahren hin zum Tod gibt dem, was ausserordentlich sein muss, einen geordneten Anstrich. Die Anzahl von Interessenten nimmt zu, die Sterbehilfe wird bekannter, da in anderen Ländern verboten, setzt Sterbetourismus ein, Nachbarn werden täglich auch durch Erinnerung an Vergänglichkeit belästigt, jeder Todesfall kostet: Polizei, Obduktion, Untersuchungsrichter, Anwaltschaften.

Angesichts der Unvernunft einer staatlichen Regulierung bleibt deshalb nur das Verbot von “Schweiz sehen und sterben.“ Der Sterbetourismus ruft nach Regeln, die den Einzelnen entmoralisieren. Leute mit Zivilcourage, wie “Abweichler“, wären dann noch seltener.

Matthias Hauser, Kantonsrat SVP, Hüntwangen