In verschiedenen öffentlichen Primarschulen werden während dem Semester keine Noten mehr erteilt, stattdessen Rückmeldungen mit Worten, Symbolen oder Farben (z.B. Ampelsystem). Mit einer parlamentarischen Initiative der FDP, SVP, CVP und GLP setzt der Kantonsrat diesen Tendenzen Grenzen.
Blick zurück zur Reform- und antiautoritären Pädagogik der 60ziger-Jahre: Jedes Kind macht das Bildungsprogramm seiner Wahl im Tempo seiner Wahl: Ein Quervergleich zu anderen Kindern oder offiziellen Lernzielen, gar eine Selektion der weiteren Bildungswege an einem gemeinsamen Leist verträgt sich mit diesem Gedanken schlecht. Kreativität statt Leistung, Individualismus statt Einordnung in die Gesellschaft; genügende Noten erreichen heisst, dass eine vorgegebene Hürde für diejenigen, die sie nicht erfüllen, zum Nadelöhr in der Laufbahn werden kann, und damit sind Noten ein Albtraum für kreative Individualisten und damit für Reformpädagogen. Diese wittern mit dem Lehrplan 21 eine Chance, ihren gottlob nur selten verwirklichten alten Schulkonzepten näher zu kommen: Mit Noten könne man nicht wirklich kompetenzorientiert beurteilen, also seien sie abzuschaffen.
Nun Kreativität und Individualität sind berechtigte Forderungen – Leistung und Einordnung aber auch. Es kommt auf das Mass an. Ob die Schule dieses trifft, hat weniger mit Noten, jedoch mit der Art zu tun, wie Beurteilung grundsätzlich gehandhabt wird.
Noten zur Beurteilung von Kompetenzen
Eine Kompetenz ist, vereinfacht, etwas, dass man kann und nicht nur weiss. Lässt sich «Können» mit Noten beurteilen? Natürlich! Wichtig ist, dass die Kompetenz vielfältig erfasst wird. Nicht nur mittels Theorieprüfungen, die aber nach wie vor Berechtigung haben, denn Wissen ist ein wesentlicher Teil des Könnens, sondern auch mittels mündlicher Arbeiten, Vorträgen, Aufsätzen, Argumenten, der Heftführung, Tätigkeiten. Wichtig ist, dass Beurteilungskriterien bekannt sind und die Note an zum Vornherein bekannten Anforderungen und nicht am Klassenschnitt geeicht wird. Wichtig ist, dass ein Kind verschiedene Chance erhält, zu lernen und zu zeigen, was es kann. Lehrpersonen können ihre Noten mit anderen Lehrpersonen vergleichen und begründen. So entstehen faire Noten. Und so gemessene Leistungen kann man mit einfachen Zahlen, die jede und jeder auch ausserhalb der Schule auf den ersten Blick versteht, vergleichen.
Leistungswettbewerb kann motivieren
Leistungswettbewerb kann motivierend sein. Für Schülerinnen und Schüler, die nicht so hohe Noten erzielen können, aber auch nicht – genau so, wie Schülerinnen und Schüler, die nicht gut sind im Sport, oft wenig Freude am Sporttag haben. Wir alle haben Stärken und Schwächen.
Noten messen das Erreichen einer Kompetenz, eine Schulleistung. Sie sagen nichts aus über andere Kompetenzen. Sie sagen nichts aus über das Arbeits- und Sozialverhalten. Sie sagen nichts aus über das Potenzial, das in einem Menschen schlummert. Sie sagen nichts aus über erschwerte Bedingungen ausserhalb der Schule, die auch ein kluges Köpfchen daran hindern können, gute Leistungen zu zeigen. Sie zeigen erst über einen längeren Zeitraum betrachtet die Lernentwicklung eines Kindes. Damit ist klar: Noten ersetzen nicht die Gesamtbeurteilung, nicht das Elterngespräch, nicht Coachinggespräche oder auch Bewerbungsgespräche. Sie liefern nur den Teilaspekt der Leistung in einem Schulfach – und niemals darf die Qualität eines Menschen auf Noten reduziert werden. Wenn dieser Fehler gemacht wird, wenn schlechte Noten zum Liebesentzug durch die Eltern oder an sich selbst führt, dann wird es verstörend und dann wird der Motivation nachhaltig geschadet. Daran schuld sind aber nicht die Noten, sondern unser Umgang mit dem Menschen. Das kann mit Farben und Symbolen genauso passieren.
Notenabschaffung ist nicht begründet und bequem
Man kann eine differenzierte und vielfältige Beurteilungspraxis begründen, aber nicht die Abschaffung der Noten. Wer letzteres trotzdem mit Vehemenz verfolgt, dem geht es um Promotion des Eingangs erwähnten Antiautoritären, um Gesellschaftswandel. Oder um Bequemlichkeit: Die Anforderungen an gerechte Noten sind, wie oben geschildert, hoch. Nicht immer können sie erfüllt werden. Eine Lektion pro Fach in der Woche gibt zu wenig Beurteilungsmöglichkeiten, hoher Arbeitsaufwand, Kinder mit zu vielen Absenzen, Schulausfälle, Stellvertretungen und so weiter. Der Alltag zwingt manchmal zu Notenentstehungen, die nicht modellhaft hieb- und stichfest sind. Deswegen aber eine einfachere und dafür weniger gerechte Notenentstehung anzustreben, wäre genauso falsch, wie Noten ganz abzuschaffen. Beides wäre einfach nur bequem.
Parlamentarische Initiative für Schulnoten
Die Parteien FDP, SVP, CVP und GLP haben mit einer parlamentarischen Initiative dieser Tendenz nun einen Pflock entgegengesetzt. Sie wurde am 4. Juli 2022 im Kantonsrat während zwei Stunden ausführlich beraten und wird eine Mehrheit finden. Die Leistungsbeurteilung (nur diese) muss mit Noten erfolgen. Bisher hätte dies der Bildungsrat ändern können, doch bald steht ist es Volksschulgesetz. Mit einem praktischen Nebeneffekt: Noten müssen sich gegenüber Schülerinnen und Schülern und Eltern begründen lassen, das heisst, Quervergleiche und Notengebung findet auch während dem Semester statt, sonst fehlt dem Zeugnis am Schluss die Grundlage. Damit, liebe Eltern, könne Sie, sobald die Gesetzesänderung in Kraft ist, in Ihren Schulgemeinden eine Note verlangen, falls Sie nur Farben oder Symbole erhalten und nicht wissen, wo Ihr Kind damit steht.
Matthias Hauser, Kantonsrat SVP, Hüntwangen
Sekundarlehrer