Sanierung nach Reformen

In den letzten beiden Jahrzehnten wurden bildungspolitische Weichen gestellt. Gegen den Willen der SVP wurde der Lehrplan 21 eingeführt, Harmos, das Volksschulgesetz und das Gesetz über die Pädagogische Hochschule angenommen. Wie geht es weiter?

Spulen wir zurück in die 90ziger Jahre. Erinnern Sie sich an die Schulversuche unter Bildungsdirektor Ernst Buschor? Den abteilungsübergreifenden Versuch Oberstufe (AVO), die teilautonome Volksschule (taV), das «new public management»? Den Klassenverband verwässern, alle Jugendlichen die gleichen Fächer besuchen lassen, Schulleitungen, die es zuvor nicht brauchte? Die Versuche waren selbst in vielen Schulen umstritten. Also nahm Buschor die Hintertür über die Vereinfachung der Hochschullandschaft:

Im Jahr 2001, mit der Umsetzung des Gesetzes über die pädagogische Hochschule, wurde die unterschiedliche Ausbildung für Sek, Real und Oberschule aufgehoben. Auch das Handarbeits- und das Hauswirtschaftslehrerinnenseminar verschwanden.

Totalumbau

Ab 2003 eroberte die nächste Bildungsdirektorin, Regine Aeppli (SP), das ganze Haus. Im Kantonsrat stets mit Mehrheit der SP, FDP und CVP:

  • Sie stellte 2004 die Finanzierung der Volksschule auf neue Beine: Stellen wurden neu nach Schüleranzahl statt nach sinnvoller Klassenbildung bewilligt. So waren kleine Gemeinden zur Zusammenlegung von Klassen, Niveaus und Jahrgängen gedrängt: Ein Schub für’s altersdurchmischte individualisierte Lernen, jedes Kind nach eigenem Plan.
  • 2006 wurde der Bildungsartikel in der Bundesverfassung geändert, um die Kantone zur Koordination der Bildungsziele zu zwingen.
  • Mit dem neuen Volksschulgesetz, erst nach einem gescheiterten Versuch in der Zweitauflage 2007 angenommen, wurden Integration, Schulleitungen, Schulprogramm, Frühfremdsprachen, Mittagsbetreuung, Blockzeiten, Jokertage, Elternmitwirkung, Fachstelle für Schulaufsicht (statt einer gewählten Behörde) obligatorisch.
  • 2008 trat der Kanton Zürich dem Harmoskonkordat bei und erhob damit den Lehrplan zur Sache der Erziehungsdirektorenkonferenz.
  • 2011 verpflichtete das Kinder- und Jugenhilfegesetz zu Krippen, zur Schulsozialarbeit und brachte den Ersatz der von Gemeinden getragenen Jugendsekretariate durch kantonale Jugenhilferegionen.
  • Diskussionen zur Vereinfachung der Übergänge von der Volks- in die Mittelschulen und den Mittel- in die Hochschulen starteten.
  • Wieder eine Hintertür: Trotz Volks-Nein zur Grundstufe wird an der Pädagogischen Hochschule dafür ausgebildet.

Welch ein Drive! Dass der SVP mit Anstrengung kleine Abstimmungserfolge gelangen, gegen die Grundstufe, für Hauswirtschaft an Mittelschulen oder Mundart im Kindergarten, war kaum Sand im Getriebe.

Gottlob nahm mit der neuen Bildungsdirektorin Silvia Steiner ab 2015 ein gewisser Pragmatismus Einzug. Es gibt fast keine neuen Schulversuche mehr. Aber sie führt Angefangenes zu Ende: Lehrplan 21, neuer Berufsauftrag (wird immerhin gut evaluiert) und die Übergänge zwischen den Stufen sind nach wie vor Thema. Nur mit dem Kinder- und Jugendheimgesetz hat es Steiner schwierig: 2019 wurde die zentrale Steuerung durch den Kanton beschlossen, doch die Umsetzung – wie von der SVP vorausgesagt – erweist sich als teuer und unpraktikabel.

Fazit: Buschor machte Druck und brach die Hintertür, Aeppli eroberte das ganze Haus und Steiner richtet es wohnlich ein. Gegen den Willen der SVP. Die Frage lautet: Und nun?

Ich mache drei Feststellungen:

Erstens: Wer heute jammert, hätte sich gescheiter in Abstimmungen engagiert. Natürlich hatten wir Recht: Die Volksschule ist heute teurer (Gruppenräume, Anschaffungen von ICT und neuen Lehrmitteln), zentraler kontrolliert, weniger demokratisch, bürokratischer und in Pisa-Tests sind wir trotzdem nicht besser.

Zweitens: Es kann jede Lehrerin und jeder Lehrer auch nach allen Reformen einen guten Unterricht gestalten (sofern im Schulhaus das volatiler gewordene Arbeitsklima stimmt) und Kinder und Jugendliche werden aufs Leben vorbereitet. In den seltenen Fällen, wo dies nicht klappt, liegt es nicht an kantonalen Grundlagen.

Drittens: Frischgebackene Lehrpersonen sind gut vorbereitet, motiviert und engagiert.

Zudem entspannt ein neuer Konsens die Diskussion, zu verdanken der Metastudie des Neuseeländer Pädagogikprofessors John Hattie («visible learning» 2009): Für das Lernen sind Beziehungen und Feedback weit, weit, weit wichtiger, als die Schulorganisation oder Detailfragen (z.B. ob es Hausaufgaben gibt oder nicht).

Die SVP will eine Schule, welche…

  • der Bevölkerung in Gemeinden echte Mitsprache gewährt.
  • auf eine leistungsorientierte Berufswelt vorbereitet.
  • zu Freiheit und Verantwortung erzieht.
  • nicht alle Kinder über den gleichen Leist schlägt, sondern Stärken fördert, für die einen mehr Werken, Handarbeit, Hauswirtschaft, für andere mehr kognitive Fächer.
  • für den akademischen Bildungsweg Exzellenz verlangt und selektioniert.
  • Leistungen auch in Zukunft mit Noten misst und Wettbewerb zulässt.
  • Kindern mit sonderpädagogischen Bedürfnissen oder ohne Sprachkenntnisse eigene Peergroups ermöglicht und sie nicht in Regelklassen zum Mitschwimmen zwingt.
  • auf Vielfalt von Lehr- und Lernformen in Schulzimmern statt zentral bevorzugte Unterrichtsformen setzt.

In diesen Punkten sind an der von Links-Mitte umgebauten «Volksschule» bereits Sanierungen nötig (z.B. Reduktion der Integration) und es gilt weitere Schäden zu verhindern (z.B. Abschaffung von Noten). In der Kinder- und Jugendhilfe und Betreuung muss die Beschlusskompetenz zurück zu den Gemeinden. Deshalb gilt es auch nach 20 Jahren Reform «gegen den Strich» nicht zu ruhn.

Kantonsrat Matthias Hauser
Mitglied der Kommission für Bildung und Kultur

Sanierung der Reformen: Das Game in der Bildungspolitik ist nie over.