Von der Bäbistube und dem ehrlichen Umgang mit Behinderung

Ecke des Kantonsrates – Rückblick auf die Sitzung vom 16. November 2015

Der Kanton Zürich erhält ein Jugendparlament. Dieses wird nicht demokratisch gewählt, sondern von einer verantwortlichen Organisation zusammengesetzt – jedenfalls ist es beim Bund so und der Kantonsrat hat diesen Punkt – um die Vorlage nicht zu gefährden – offen gelassen. Naturgemäss sind darin diskussionsfreudige Jugendliche, die Zeit haben, zum Denken statt unter wirtschaftlichem Druck arbeiten, eher vertreten: Linke Gymnasiasten statt bürgerliche Lehrlinge und Lehrtöchter. Das zeigt sich seit Jahren in der eidgenössischen Jugendsession. Obwohl deshalb überhaupt nicht repräsentativ, reklamiert die linke, nicht ganz billige, Bäbistube, die «Stimme der Jugend» zu sein.

Doch die SVP fand keine Unterstützung bei anderen Bürgerlichen für die Ablehnung des Jugendparlamentes. Denn die Ablehnung wäre gegen die Haltung der Jugendverbände gewesen. Noch mehr tabu ist es für FDP und CVP wohl nur, wenn man Erleichterungen für Behinderte kritisiert. So wird, statt genau hingeschaut, ein offensichtlicher Missstand einfach belassen:

Es kann nämlich sein, dass bei Prüfungssituationen im selben Unterricht einige Kinder mehr Zeit beanspruchen dürfen, als andere. Dass einige in einem eigenen Raum ohne jede Ablenkungsmöglichkeit geprüft werden, dass einige zum Aufsatz das Rechtschreibeprogramm benützen dürfen. Das sind sogenannte Nachteilsausgleiche, die Kindern mit leichten kognitiven Behinderungen (Legasthenie, ADHS) gewährt werden. Im Gegenzug werden diese Schüler ohne Unterschied zu allen anderen benotet. So wird durch die Hilfen beim Legastheniker die Rechtschreibung gar nicht gewichtet und man merkt Zeugnissen und Promotionen (z.B. Probezeit Mittelschulen) die verwendeten Hilfen nicht an. Alle anderen Kinder jedoch können dank Orthografie oder Schriftbild eine tiefere Note haben. Das ist ungerecht. Anderes gesagt: Es kann sein, dass gerade eine explizite Rechtschreibeschwäche, wenn überhaupt, erst in der Lehre, nicht aber in der Deutschnote, zum Ausdruck kommt.

Oder der Jugendliche, der infolge ADHS grosse Mühe mit der Konzentration hat: An einer Mathematikprüfung, in der es darum geht, unter Zeitdruck den gleichen Algorithmus mit verschiedenen Zahlen anzuwenden, hat ein abgelenkter Schüler nur wenig Chancen. Deshalb kann er oder sie zum Nachteilsausgleich alleine in einem Raum und ohne Zeitbegrenzung dieselbe Prüfung absolvieren. Unter diesen Bedingungen wären aber alle anderen Jugendlichen auch zu besseren Resultaten fähig. Der Nachteilsausgleich zeigt sich hier deshalb ungerecht.

Ein Mensch mit einem Handicap hat naturgemäss im Bereich des Handicaps, wenn beim Legastheniker die Rechtschreibung, wenn beim Unkonzentrierten die Konzentration, wenn beim Gehbehinderten das Gehen und beim Hörbehinderten das Hören gemessen wird, eine Benachteiligung. Hingegen ist es absolut unbestritten, dass eine Matheaufgabe einem Blinden in Brailleschrift oder mündlich gestellt wird, dass ein Hörbehinderter Hörhilfen oder eine Übersetzung in Gebärdensprache erhält, dass ein Legastheniker, wie alle anderen Schülerinnen und Schüler auch, nicht im logischen Denken und nicht in Mathe wegen der Rechtsschreibung beurteilt wird, weil Rechtschreibung kein mathematisches Kriterium ist.

Folgende konstruierte Situation macht den Unterschied deutlich: Ein Gehbehinderter darf nicht in das Kader der 100-Meter-Sprinter eintreten, nur weil er zur Qualifikation den Rollstuhl benützen durfte und eine Zeitgutschrift erhielt. Er soll aber an der Schachmeisterschaft teilnehmen können, auch wenn diese in einem nur durch Treppen zugänglichen Raum stattfindet: Ein Lift wäre hier der Nachteilsausgleich. Logisch. Doch mit kognitien Behinerungen wird weder in der Praxis noch in den Richtlinien der Bildungsdirektion gleich differenziert umgegangen. Mein Postulat wollte nichts anderes. Kein Gesetz, bessere Richtlinien – für den ehrlichen Umgang mit Behinderung. Es wurde abgelehnt.