Zusammenschluss verbessert Schulqualität nicht

Die Schulqualität und Zusammenschluss der Sekundarschulen Eglisau und Unters Rafzerfeld haben nur wenig miteinander zu tun. Es stimmt nicht, dass eine grössere Schule die Schulqualität verbessert.

Dass eine Zusammenlegung betreffend dem Wahlfachangebot die Situation nicht verbessert und sogar die für den Schulbetrieb verfügbaren Mitteln kürzt, habe ich in einem anderen Text (Link) schon geschildert. In diesem Text geht es nun darum, was Schulqualität überhaupt ist – und – weil die Schule unteres Rafzerfeld vor allem das Argument der Klassenbildung ins Feld führt – um den Nachweis, dass eben auch darauf die Grösse der Schule nicht wirklich Einfluss hat.

Zuerst aber zur «Schulqualität» überhaupt:

Der Neuseeländer Bildungsforscher John Hattie hat während 15 Jahren 50’000 andere, bestehende, Studien untersucht, die auf insgesamt 250 Mio. Fälle referieren.  Er ging der Frage nach, was zu lernwirksamem Unterricht führt. Die 2008 publizierten Resultate sind die umfassendste Untersuchung dieser Art.  Folgendes kam heraus: Das Selbstbild der Jugendlichen, das Lernverhalten und das Sozialverhalten sind viel, viel, viel wichtiger, als die Schulgrösse, die Klassengrösse oder die strukturelle Gliederung der Schule.  Hier eine einfache Darstellung der Hattie-Studie (Link).  Und nun das Fazit: Der Unterricht mit dem geforderten Lernverhalten (Didaktik) wie auch das Sozialverhalten und manchmal sogar das Selbstbild der Jugendlichen werden stark von der Lehrperson – Selbstbild und Sozialverhalten auch vom Elternhaus – beeinflusst. Deshalb ist das Handeln von Erwachsenen rund um das Lernen der Jugendlichen Nummer 1 für Schulqualität.

Wer über Schulqualität spricht, muss also über Jugendliche, Lehrpersonen und das soziale Umfeld sprechen. Sagen wir es noch anders: Damit mit einem Zusammenschluss die Schulqualtiät wirklich gesteigert würde, müssten bessere Lehrpersonen, ein durchschnittlich besseres soziales Umfeld und selbstsicherere, reifere Jugendlichen die heutige Sek aufpeppen. Gibt es das in der jeweils anderen Schulgemeinde? Damit Sie richtig verstehen: Ich sage nicht, dass die heutigen Lehrpersonen nicht gut sind – ich masse mir kein Urteil über einen Schulbetrieb an, den ich nicht als Eltern oder als Lehrperson von Innen kenne. Wer aber mit der Schulqualität nicht zufrieden ist, müsste an einem ganz anderen Schräubchen drehen als an der Zusammenlegung.

Da ist es natürlich viel angenehmer,  dass der Kanton (Bildungsdirektion) und die Grösse der Schule als «strukturelle Sündenböcklein» hinhalten können: Schwierigkeiten bei der Klassenbildung und der Klassengrösse seien Schuld. Laut Hattie-Studie ist zwar die Klassengrösse kein gewichtiger Qualitätsfaktor. Aber gut, schauen wir diesen Aspekt genauer an:

Klassengrösse und Schulgrösse

Auf www.bista.zh.ch kann man Schulgemeinden vergleichen. So lässt sich die Anzahl der Schülerinnen und Schüler der verschiedenen Sekundarschulen im Kanton Zürich und auch die durchschnittliche Klassengrössen dieser Schulen nachschlagen, die aktuellsten Daten sind diejenigen vom Jahr 2015. Das habe ich gemacht. Hier die Zahlen zu den kleinsten Sekundarschulen im Kanton:

Die Sekundarschule der Schule Unteres Rafzerfeld war 2015 an dritter Stelle. Und hier noch einige Zahlen von Schulen verschiedenster Grösse, zum Vergleich:

Es fällt auf: Die Klassengrösse hängt nicht von der Schulgrösse ab. Es gibt kleine Schulen mit kleinen und mit grossen Klassen. Und es gibt auch grosse Schulen mit kleinen und grossen Klassen. Die Sekundarschule Unteres Rafzerfeld ist mit ihrer Grösse weder die Kleinste, noch ist sie alleine. Auch wenn sie sich nicht mit der Sekundarschule Eglisau vereinigt. Sie bleibt dann eine Schule mit zwischen 80 und 110 Schülerinnen und Schülern.  Hier die Tabelle der Schulbehörde Unteres Rafzerfeld zur Schülerfortschreitung an der Sek:

Weniger Lehrerstellen nach Zusammenlegung

Was macht nun die Klassengrösse aus? Entscheidend müsste die Basis-Vollzeiteinheit im Kanton Zürich für Sekundarstufen sein, nämlich 17.23,  Förderlehrpersonen-Bedarf und Gewichtung nach Sozialindex (je sozial besser gestellt, desto weniger Lehrpersonen bekommt eine Gemeinde) eingerechnet sind es durchschnittlich 18.38. Das heisst,  jede Schule bekommt durchschnittlich immer für 18.38 Jugendliche eine kantonal besoldete Lehrperson. Vom Durchschnitt wird ein wenig abgewichen, plus minus bis zu zwei Schülerinnen oder Schüler.  Warum, so stellt sich die Frage, wenn alle Schulen fast gleich gehandhabt werden, gibt es dann derart unterschiedliche Klassengrössen?

Eine einfache Antwort: Die Schulen dürfen sich selber organisieren! Der Kanton schreibt lediglich vor, dass es an Sekundarschulen mindestens zwei Abteilungen geben muss (Sek A und Sek B, möglich wäre auch eine Sek C) und maximal drei Fächer unabhängig von der Abteilung  in bis drei Anforderungsstufen unterrichtet werden dürfen (dies ist aber freiwillig). Zum Beispiel die Niveaufächer Mathematik, Französisch und Englisch. Man kann die so gebildeten Klassen auch gemeinsam unterrichten: Dabei dürfen nur entweder die Jahrgänge oder die Anforderungsstufen gemischt werden, nicht aber beides. Zudem bewilligte der Kanton schon viele Ausnahmen und gewährt kleinen Schulen mehr Stellen, als sie eigentlich zu Gute hätten, er hat dafür sogar einen gesetzlichen Auftrag. Und der Kantonsrat hat den zusätzlichen Stellenpool bewilligt. Hier die Information über diese sogenannten Poolstellen (Link). Und ja: Um Anspruch zu haben, muss man klein sein. Das heisst konkret: Poolstellen können bei einer Zusammenlegung wegfallen – es gibt also weniger Lehrperson pro Kind.

Innerhalb dieser Rahmenbedingungen haben sich im Kanton Zürich über 30 im Detail unterschiedliche Schulmodelle an Sekundarschulen gebildet. Einige machen offensichtlich die Klassenbildung geschickter als andere. Und selbst dann: Auch in grossen Schulen geht es nicht immer auf. Ich selber habe 2010/11 im Schulhaus Buhnrain, einem der grössten Sekundarschulhäuser im Kanton, eine Klasse mit 27 Jugendlichen als Klassenlehrer unterrichtet. Eine gute Klasse übrigens. Die Zusammensetzung einer Klasse ist viel entscheidender als die Grösse. Wobei es stimmt: Grosse Klassen geben mehr Arbeit und die Chance einer schwierigen Zusammensetzung ist natürlich höher. Deshalb hat der Kanton die maximale Klassengrösse auch geregelt und es gibt Entlastung, wenn jemand eine grössere Klasse unterrichtet.

Über die Klassengrösse kann man unterschiedlicher Meinung sein. Meine Meinung deckt sich mit der Forschung von Hattie: Der Einfluss Klassengrösse ist weit hinten auf der Rangliste der wichtigen Faktoren für gute Schule. Etwas aber lässt sich nicht wegdiskutieren: Die Zusammenlegung der Sekundarschulen Unteres Rafzerfeld und Eglisau führt nicht zu kleineren Klassen. Im Gegenteil: Es fallen die Poolstellen weg.

Zusammenarbeit

Eine Schule, die den Fokus auf z.B. das Sozialverhalten oder die Unterrichtsqualität legt, verbessert die Qualität wegen diesem Fokus und nicht, weil sie sich vergrössert. Genau so gut wie eine Vergrösserung neue Ideen bringen kann, kann sie auch neue Probleme bringen (z.B. wenn durch eine Zusammenlegung Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen dazukommen oder die falschen Lehrpersonen).  Die Sekundarschulen Unteres Rafzerfeld und Eglisau sind heute je eine eigene Schule mit je eigener Schulgemeinde in je einem Schulhaus untergebracht. Beide entscheiden heute autonom über Fokus und Massnahmen zur Verbesserung der Qualität. Wichtig ist, was sie entscheiden, nicht ob sie es zusammen tun.

Bei den Primarschulen im Unteren Rafzerfeld sieht es etwas anders aus. Hier ist eine Schule über mehrere Schulhäuser verteilt. Das führt dazu, wenn man gemeinsame Schulqualität bespricht , dass die Lehrpersonen für Sitzungen ab und zu das Schulhaus wechseln müssen. Und auch dazu, dass man sich nicht alle zusammen ständig sieht und laufend austauschen kann. Abgesehen davon, dass man ruhig die Frage stellen darf, ob es vielleicht nicht besser ist, dass Lehrpersonen reisen statt Kinder lange Schulwege haben, bieten sich,  wenn man es richtig organisiert, allen drei Primarschul-Teams, in Wasterkingen, Wil und Hüntwangen, mehrere Chancen, die man nutzen kann. Zwei gewichtige Beispiele:

  • Der Einbezug des lokalen Umfeldes ist viel stärker möglich. Gerade wenn man das Sozialverhalten der Kinder beeinflussen möchte, ist dies eine riesige Chance.  Das nahe Elternhaus und Schule müssen dazu am gleichen Strick ziehen, es ist gut, wenn man die Kinder kennt im Dorf und darüber spricht, was auf dem Schulweg, am Mittwochnachmittag und in der Pause passiert.  Anonymität ist der Feind guten Verhaltens.
    Ein kleines Detail: Glauben Sie, dass nach einer Zusammenlegung an einem Standort immer noch drei Räbenliechtli-Umzüge organisiert werden? Natürlich nicht.
  • Die Teams und Schulhäuser sind familiärer – der ständige Austausch mit Kolleginnen und Kollegen findet nicht mit so vielen statt, dafür geht er tiefer. Alle Lehrpersonen kennen alle Kinder. Das ist in grossen Schulen nicht der Fall.

Nur schon diese Chance heben die Lehrpersonen-Austausch-Vereinfachung bei einer Zusammenlegung der Primarschulen an einem Standort bei Weitem auf!

Schlussfolgerung

Wie sich die Schulqualität in Zukunft entwickelt, hängt vor allem davon ab, wie  gelernt wird und welches soziale Umfeld Kinder und Jugendliche beeinflusst. Der ganze Rest ist eine Frage der Organisation und lässt sich in kleinen und grossen Schulen verwirklichen. Es kommt letztlich einfach auf die Menschen an.