Lehrplan 21 vors Volk

Im Kantonsrat wurde eine Parlamentarische Initiative (PI) überwiesen, die will, dass der Rat den Lehrplan der Zürcher Volksschule referendumsfähig beschliessen muss: So wird eine Volksabstimmung über die Einführung des Lehrplans 21 möglich. Findet dieser Vorstoss keine Mehrheit, bleibt allein der Bildungsrat zuständig und der Lehrplan wird am Volk vorbei geschmuggelt. Dies scheint leider der Wille der Ratsmehrheit zu sein.

Dabei wurde im Parlament schon oft über einzelne Fächer aus dem Lehrplan debattiert (z.B. Fremdsprachen in der Primarschule, Mundart, Religion und Kultur, Handarbeit): Lehrplan-Entscheide interessieren. Denn es gibt es viele Betroffene: Eltern, Kinder, Lehrmeister, Mitarbeiter von Schulen. Und sie sind bedeutend für die Zukunft der Gesellschaft: Sie bestimmen die Bildung der Entscheidungsträger von morgen.

Letzteres macht besonders wichtig, dass sich die Öffentlichkeit für den Lehrplan interessiert. In der Gestaltung der Zukunfts-Gesellschaft gibt es keine politische Neutralität: Den Beweis finden wir im Lehrplan 21, im Bereich «Fächerübergreifende Themen unter der Leitidee nachhaltiger Entwicklung». Weshalb heisst die Leitidee nicht «Entwicklung durch Leistung im Wettbewerb»? Die Denkhaltung, welche unser Land vorwärts bringen soll, darf nicht durch Bildungsfunktionäre entschieden werden. Der Lehrplan ist Richtplan für den geistigen Standort: Ihn demokratisch abzustützen ist eine berechtigte Forderung.

Zudem ist der Lehrplan 21 in wichtigen Punkten umstritten:

  1. Die Gliederung der Volksschule in drei gleich lange Zyklen (statt in Kindergarten, Primar- und Sekundarstufe) führt, da Kindergarten und die ersten Primarjahre zusammengelegt werden, einmal mehr zur Diskussion über die Grundstufe.
  2. Die Fächer Geografie und Geschichte werden reduziert und fusioniert. Das widerspricht etablierten Denkansätzen, nach denen auch die Studienrichtungen an Hochschulen unterteilt sind.
  3. Der Lehrplan enthält umstrittene moralisierende Ziele, zum Beispiel zum Konsum und zur nachhaltigen Entwicklung.
  4. Der Zeitpunkt der Sexualerziehung ab dem Kindergarten.
  5. Die Höhe der Anforderungen und die Kompetenzorientierung der Ziele.
  6. Informations- und Kommunikationstechnologie und Musik sind zu stark gewichtet, die Berufswahl nach wie vor zu knapp.
  7. Wann welche Fremdsprache in welchem Kanton zu lernen ist, bleibt unkoordiniert.

Trotz dieser Liste haben im Vernehmlassungsverfahren viele geantwortet, der Lehrplan sei gut, sofern man noch dies oder jenes ändere. Das kommt daher, dass die Geographielehrer sich nicht zur Kommunikationstechnologie äussern, die Sexualmoralapostel nicht zur Nachhaltigkeit, die Gewerbler, die mehr Berufswahl wünschen, nicht zur Grundstufe, und so weiter. Jeder korrigiert nur sein Gärtchen. In anderen Worten bedeutet das, dass der Lehrplan, wie er heute vorliegt, fast niemand wirklich gut findet. Kritik wurde gestreut und Vernehmlassungen sind rechtlich nicht bindend.

Eine Kantonsratsdebatte macht das Gegenteil: In ihr wird Kritik gebündelt. Das Resultat ist deshalb eine echte Qualitätsprüfung. Ein mangelhafter, nicht breit abgestützter Lehrplan wird etabliert, falls wir jetzt nicht das letzte Wort über diesen «Konsens der Zukunft» in die Hände der breiten Gesellschaft legen.

Matthias Hauser, Kantonsrat, Sekundarlehrer