Trennung von Kirche und Staat – Initiative von 1995

Am 24. September befinden wir im Kanton Zürich über die Intitiative „Trennung von Staat und Kirche“. Im Folgenden möchte ich mit einigen wichtige Gedanken und Befürchtungen zur Entscheidungs-findung der Leserinnen und Leser beitragen.

Betrachten wir die heute gültige Regelung genauer: Artikel 64 der Kantonsverfassung bezeichnet die evangelisch-reformierte Landeskirche, die römisch-katholische Körperschaft und die christkatholische Kirchgemeinde als „staatlich anerkannte Personen des öffentlichen Rechts“. Als solche dürfen diese ihre innerkirchlichen Angelegenheiten selbständig ordnen, „unterstehen im übrigen aber der Oberaufsicht des Staates. Ihre Organisation sowie ihr Verhältnis zum Staate werden durch die Gesetzgebung geregelt, die auch die staatlichen Leistungen für das Kirchenwesen ordnet.“ [Art.64.3. KV ]

Eine Gesetzesänderung hätte also zur Teilaufhebung vieler Verknüpfungen von Staat und Kirche (z.B. Kirchensteuern) durchaus genügt. Doch am 24. September steht nur die vollständige Trennung zur Debatte. Die vorgeschlagene Erneuerung des Artikels 64 lautet ganz simpel: „Staat und Kirche sind getrennt. Für alle Religions-Gemeinschaften gelten die Bestimmungen des Privatrechts.“ Mit anderen Worten: Der Staat soll bitte künftig mit den bisherigen Landeskirchen nicht anders verkehren als mit Turnvereinen, Fussballclubs, Parteien und Sekten etc.

Bisher wurde der Staatsbürger, sofern es seine Eltern nicht anders für ihn vorsahen, automatisch Mitglied einer der drei Landeskirchen und damit kirchensteuerpflichtig. Diese Einnahmen (245 Millionen Franken) sowie die Einkünfte aus allgemeinen Steuermitteln (50 Millionen) müssten bei einem „Ja“ am 24. September durch Mitgliederbeiträge ersetzt werden, welche zur weiteren Erfüllung von bisherigen kirchlichen Aufgaben für das einzelne Kirchenmitglied teurer ausfallen als die heutige Kirchensteuer. Ein Mitgliederschwund ist vorprogrammiert. Dies obwohl der Staat die seelsorgerischen Funktionen der Kirchen wie Gefängnispfarrer, Spital- und Behindertenseelsorge, Aids- und Drogenhilfe und Eheberatung als Dienstleistungen bezahlen würde. Die drei Landeskirchen müssten ihre sozialen Leistungen fortan in Konkurrenz mit anderen, teils zweifelhaften Gruppierungen anbieten.

Art. 64 schrieb bis anhin die „Oberaufsicht des Staates“ vor. Diese Oberaufsicht beschränkte sich in der Praxis auf die „Einhaltung der demokratischen Spielregeln“ sowie auf die „korrekte Verwendung der Gelder“. Dennoch sind Gelder der Kirchen nicht nur in geistliches, sondern auch in politisches Engagement geflossen. Ich denke dabei an Stellungnahmen zur Asylpolitik im Kirchenboten oder an Gelder, welche im evangelischen Tagungszentrum Boldern für Themen „vergeworkshopelt“ werden; Viele Christen sehen die Politik anders, als die „offizielle“ Kirche nach einer zweitägigen meditativen Sitzung verlauten lässt.

Genau der „laute“ politische Flügel wird innerhalb der Kirche durch die Trennungsinitiative gestärkt, denn durch die Austritte der Andersdenkenden finanziert er sich ja zunehmend selbst. Er gewinnt dabei entweder an Einfluss oder er trennt sich als religiös-politisch unbequeme Gruppe von den gemässigten Kirchenmitgliedern ab.

Wäre es nicht besser, anstatt der Kirche den „Laufpass“ zu geben, in ihr Verantwortung wahrzunehmen und sich in die innerkirchlichen Diskussionen einzuschalten? Von den demokratischen Strukturen, welche der Staat in der Kirche garantiert, sollten wir Gebrauch machen!

Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat beruht im Kanton Zürich auf Tradition. Die Wertmassstäbe unserer Gesellschaft sind christlich fundiert. Grundprinzipien, wie zum Beispiel dasjenige von „Treu und Glauben“ wären ohne christlichen Hintergrund kaum denkbar. Dieser staatstragende Hintergrund ist in der heutigen „offenen“ Gesellschaft alles andere als selbstverständlich. Dank des Zusammengehens von Kirche und Staat wird an der Zürcher Volksschule Religionsunterricht erteilt und auch das Zusammengehen in sich bewirkt eine ständige Erinnerung an christliche Werte.

Ohne Moralvorstellungen sind einige aktuellen Fragen schlichtweg unlösbar. Beispielsweise die Frage nach dem Wert von menschlichem Leben bei Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe und Todesstrafe oder die Fragen der Sexualerziehung. Statt der Kirche die finanziellen Mittel zu verweigern, sollten wir in ihr werterhaltend wirken (wobei Toleranz nicht der einzige Wert ist) und Moralvorstellungen formulieren.

Es gehört zu den Aufgaben der Landeskirchen, die gegenwärtige Ethikdiskussion obiger Fragen von universitären Lehrstühlen mit einem „biblischen Touch“ versehen ins Volk und die Politik zu übertragen.

Kirchen können nur als offenes, breit abgestütztes demokratisches Forum, wo verschiedene Meinungen auf christliche und staatstragende Werte abgestimmt werden, eine Berechtigung als Moralinstanz haben.

Alles andere mündet entweder ins Totalitäre oder ins Morallose. Schauen wir am 24. September, dass es nicht soweit kommt.