Nein zur Klassengrössen-Initiative und Nein zum Gegenvorschlag

Fall 1: Ein mir naher Berufskollege unterrichtet eine Klasse mit 30 Kindern auf der Sekundarstufe. Er arbeitet viel, er führt mehr Elterngespräche durch, als nötig (zwei pro Jahr), bereitet sich gewissenhaft vor und korrigiert viele Arbeiten noch persönlich. Seine Ehefrau hilft ihm manchmal – unentgeltlich. Die Schülerinnen und Schüler erleben einen guten Unterricht. Lehrer aus Berufung! Das Ehepaar hätte mehr Lohn verdient. Aber wir stimmen nicht darüber ab, sondern über die Klassengrösse. Und als dieser Lehrer “nur“ 24 Jugendliche unterrichtete, arbeitete er fast genau so viel.

Fall 2: Eine andere, ebenfalls gute Kollegin von mir, hatte vor einigen Jahren 15 Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule B und C gemeinsam zu unterrichten, in der Stadt Zürich, darunter einige Jugendliche mit sonderpädagogischen Massnahmen, verschiedene Nationalitäten. Sie war ebenfalls Tag und Nacht dran und nach wenigen Monaten am Ende ihrer Kräfte, krankgeschrieben und in Weiterbildung und Kur. Sie hat sich wieder gefangen und unterrichtet heute in einem anderen Kanton.

Mit der Klassengrössen-Initiative ist der erste Fall nicht mehr möglich. Der Zweite nach wie vor.

Das zeigt, dass die Initiative am Problem vorbei schiesst. Dabei ist wohl unbestritten: Kleinere Klassen sind angenehmer und geben weniger Arbeit. Die Stressfaktoren im Schulalltag aber sind andere: Grosse Leistungsunterschiede in den Klassen, Schülerinnen und Schüler, die unmotiviert sind und sich unerzogen benehmen, sei es, weil das vom Elternhaus (sofern eines vorhanden ist) geduldet wird oder weil sie mangels Vorwissen keine Chance haben, den Stoff zu verstehen und ein altersgerechtes Ziel zu erreichen, wenn Elterngespräche nicht fruchten, wenn Schulleitung, Schulbehörden und/oder Eltern nicht am gleichen Strick wie die Lehrperson ziehen, wenn Probleme mit zehn Fachkräften zerredet statt geführt und gelöst werden, wenn man häufig beauftragt ist, nebensächliche Administration zu erledigen, die weder der Klassenführung noch dem Unterricht nützt. Oder auch, wenn man nicht erkennt, dass Erziehung manchmal Sisiphus-Arbeit bedeutet und vielleicht (vielleicht auch nicht) erst Jahre später dem Erzogenen das Licht aufgeht.

Fazit: Persönlichkeitsbildung und Erfahrung der Lehrpersonen, sowie eine vernünftige Schulorganisation und gute Schulführung sind viel entscheidender für Schulqualität, als die Klassengrösse. Etwas Stabilität anstatt in jedem Schuljahr Neuerungen würde auch für Entspannung sorgen. Leider schlug das Pendel in in den letzten Jahren Bildungspolitik in die falsche Richtung, immer noch stehen Mammut-Neuerungen an (Lehrplan 21, neuer Berufsauftrag). Getrieben sind diese auch von Politikern, die heute hinter der Klassengrössen-Initiative stehen.

Die Klassengrössen-Initiative kann den Schulalltag sogar erschweren. Manchmal wird eine Klasse in Absprache mit Lehrpersonen deshalb extra gross gebildet, damit in der gleichen Schuleinheit, der Kollege mit den pädagogisch „schwierigeren“ Jugendlichen, eine kleinere Klasse führen kann, sie bereitet ihm ebenfalls viel Aufwand, auch wenn er weniger Arbeiten korrigieren muss. Solchen Ausgleich innerhalb der Schulgemeinde verhindert die Initiative künftig wirksam.

Für sie und den Gegenvorschlag gilt: Preis hoch, Wirkung gering. Bitte ablehnen!

Matthias Hauser, Sekundarlehrer, Kantonsrat SVP