Lebte ich in Südkorea, würde ich die Städte verlassen

 

Dreizehn indiziengestützte Überlegungen zeigen, dass Nordkorea diesmal nicht nur Rhetorik betreibt. Es kommt zum Krieg. Eine Eröffnung mittels Kernwaffe ist möglich. Text als .pdf: WirsindBiedermann

Seit einem Bericht über die nordkoreanischen Konzentrationslager beschäftige ich mich mit dem Land, lese alle erdenklichen Berichte und Informationen, wie ich es schon über viele Themen, die politisch/menschliche Grenzen und deren Überschreitung aufzeigen, tat. Lebte ich in Südkorea, Tokyo oder an der amerikanischen Westküste, würde ich in den nächsten Tagen, speziell am 15. April („Tag der Sonne“), die Städte verlassen.

1. Die Vereinigung der beiden Korea ist das immer schon proklamierte Ziel der nordkoreanischen Aussenpolitik. Seit es Nordkorea gibt.

2. Zum ersten Mal in der Geschichte ist Nordkorea soweit, dass ein Einsatz von Massenvernichtungswaffen funktionieren könnte. Nordkorea hat mindestens drei Atomexplosionen durchgeführt und hat Raketen über verschiedene Distanzen abgefeuert. Die Verbindung der beiden Technologien direkt am Feind zu testen ist möglich.

3. Die nordkoreanische Diktatur ist bedrängt.

  • Aussenpolitisch: Die UNO untersucht seit Anfangs 2013 erstmals ernsthaft die Menschenrechts­verletzungen, die in Nordkoreas Konzentrationslagern (Amnesty International geht von 200’000 Gefangenen aus) gemäss Aussagen der weniger als hundert Flüchtlingsberichte (darunter ehemalige Aufseher) vorkommen. Es handelt sich um derart bestialische Akte (z.B. Kinder, die ihre Eltern erschiessen müssen, Familien, die vergast werden, Tod durch Hunde), dass die Weltöffentlichkeit inklusive China, die Augen davor nicht verschliessen wird, wenn ihre Wahrheit offiziell anerkannt ist.
  • Innenpolitisch: Die Autorität des Regimes wird langfristig durch die grossen Wirtschaftsprobleme und durch zunehmende Informiertheit der Bevölkerung bedroht. Für das Regime ist das eine Sackgasse. Denn: Die Lösung der Wirtschaftsprobleme geht nur mit einer Lockerung der Abschottung. Dies führt dazu, dass trotz drakonischer Strafen das Wissen über den Zustand der Welt in der nordkoreanischen Bevölkerung langsam steigt.

Bedrängte Autorität: Damit kann die nordkoreanische Diktatur im Kriegsfall nichts verlieren, was nicht sowieso bedroht ist. Die Frage ist nur, ob der Untergang langsam oder mit Knall und viel Schaden bei den „Feinden“ erfolgen wird.

4. Die nordkoreanische Führung handelt irrational.

  • Kim Jong Un ist jähzornig: Als Kind terrorisierte er die Bediensteten. Kurz nach seiner Machtergreifung liess er mehrere hohe Militärs umbringen, „weil sie zu wenig um den Tod seines Vaters zu trauerten“.
  • Kim Jong Un wurde erst als Führer aufgebaut, nachdem seine beiden Brüder nicht in Frage kamen (einer wollte nach Japan fliehen, der andere kränkelt). Er ist dritte Wahl.
  • Die Selbstdarstellung von Kim Jong Un im nordkoreanischen Dokumentarfilm http://www.youtube.com/watch?v=_wIeMcy1bAE&list=PL55A17B7D935C2B2E und auf zahlreichen Pressebilder oft mit Waffen.
  • Die Generalitäten rund um Kim Jong Un werden langsam alt (wollen sie die Wiedervereinigung der Koreas – ihr Lebensziel – noch erleben, dann muss diese nun versucht werden) und/oder können selbst bei nur einem Anflug von Illoyalität „von den anderen“, von Kim Jong Un, „vom System“, getötet werden.

5. Auch wenn die Verbindung von Raketen und Atomexplosion ohne Feind getestet würde, wäre ein Krieg wahrscheinlich, der dann von den USA, allenfalls Nato geführt würde. In anderen Worten: Auch betreffend Waffenweiterentwicklung befindet sich das Regime in Nordkorea in der Sackgasse, aus welcher nur ein Krieg führt.

6. Die Rhetorik von Nordkorea hat Ähnlichkeit mit der Rhetorik, welche vor Genoziden, wo auch immer auf der Welt, angewandt wurde. Die „Feinde“ werden als Ungeziffer bezeichnet. Vorigen Sommer war über Wochen auf dem weltweiten Nachrichtenkanal Nordkoreas (http://www.kcna.kp) zu lesen, dass der damalige Südkoreanische Präsident Lee Myung-bak und seine rattenähnliche Gruppe (Ratten) aus dem Land zu werfen seien. Aktuell werden “Feinde“ Nordkoreas oft als “Puppen“ bezeichnet. Während dem Genozide als „Säuberung“ bezeichnet werden, spricht Nordkoreas von „ernster Bestrafung“, und zwar durch thermo-nukleare Mittel. In der zweiten Aprilwoche publiziert der Nachrichtenkanal Nordkoreas täglich Schlagzeilen wie (Beispiele) „Nordkorea wird mit Sicherheit siegen“, „US-Imperialisten verursachen Atomkrieg“. Damit sind alle Elemente der Vorkriegsrhetorik erfüllt: Herabminderung des Gegners, Schuldzuweisung und Kriegsankündigung.

7. Kim Il-Sung, Grossvater von Kim Jong Un, muss in Nordkorea kultisch verehrt werden (an den Schulen lernen die Kinder seine Schriften stellenweise auswendig). Da Il „Sonne“ heisst, wird sein Geburtstag, der 15. April, als Nationalfeiertag und „Tag der Sonne“ gefeiert. Zahlreiche Bilder zeigen Kim Il-Sung’s Gesicht als Sonne. Enkel haben auf der ganzen Welt besonders gute Drähte zu Grossvätern und verehren diese. Es ist wahrscheinlich, dass, wenn Kim Jong Un in die Geschichte eingehen will, dies am 15. April, dem Tag der Sonne, geschieht. Auch sein Grossvater propagierte zeitlebens die Wiedervereinigung der beiden Koreas.

8. China lässt verlauten, sein Einfluss auf Nordkorea sei begrenzt. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass Chinas Gewicht die Diktatur zur Vernunft bringen kann.

9. Ein Krieg ist nicht ohne Chancen für die Diktatur: Nach einem möglichen Atomschlag durch Nordkorea folgt ein konventioneller Krieg. Dazu muss man wissen: Nordkorea unterhält mit über einer Million in Friedenszeiten ständig bewaffneter Soldaten (!) eine der grössten Armeen der Welt. Die Bevölkerung hat Anfangs noch zu wenig Informationen, um zu erkennen, dass ein solcher Krieg für sie eine Befreiung bedeutet. Es wird, selbst bei grosser technischer Überlegenheit und Lufthoheit der Allierten, zäh und nicht ohne Chancen für die Diktatur, insbesondere dann, wenn sich China neutral verhalten würde oder aus strategischen Gründen gar die nordkoreanische Seite unterstützt. Ein Atomschlag Nordkoreas würde Südkorea, die USA und Japan schwächen. Insbesondere, wenn noch weitere drohen.

10. Raketenabwehr ist ein Sieb, kein Schirm. Wenn nordkoreanische Raketen in der Lage wären, ihre Flugbahn während dem Flug zu ändern, wird es schwierig, sie innerhalb der dazu nötigen kurzen Zeit zu treffen. Zudem wurde noch nie eine Rakete mit Atomsprengkopf von einer Abfangrakete abgeschossen.

11. Wären die Drohungen Nordkoreas tatsächlich nur Pokerspiel: Irgendwann müssen die Karten auf den Tisch gelegt werden. Was kann das nordkoreanische Blatt dann zeigen? Entweder Taten oder ein Verlust der internationalen Glaubwürdigkeit.

12. Biedermann-Effekt: Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch beschrieb in „Biedermann und die Brandstifter“, Gottlieb Biedermann, der seinen Dachstock vermietet und zuschaut, wie die zwei Mieter Benzinkanister hinauftragen. Biedermann wagt sich die Konsequenz, nämlich, dass die beiden sein Haus anzünden werden, nicht vorzustellen, obwohl er sie leise ahnt. Weil diese Handlung so ungeheuerlich erscheint und man etwas derart Niederträchtiges seinen Mitmenschen nicht unterstellen darf. So setzt er auf “Apeacement-Politik“, bis er sich zusammen mit seiner Frau – die wesentlich kritischer war aber ihre Meinung nicht durchsetzen konnte – brandtot in der Hölle wiederfindet. Im Fall von Nordkorea droht statt einem Hausbrand die Atombombe und Biedermann sind wir alle. Die Benzinkanister befinden sich schon im Dachstock, nur ob sie brennen werden, ist noch nicht ganz sicher.

13. Murphy’s law: „Whatever can go wrong will go wrong.“
Jedenfalls sollte man damit rechnen.

Als Grundlage für das Verständnis aber nicht innerhalb der Liste von Indizien für einen Krieg nachfolgend noch die Schilderung, wie die nordkoreanische Diktatur innenpolitisch trotz Auslandkontakt die Desinformation aufrecht hält.

Die zunehmenden Auslandkontakte sind:

  • Industriepark Kaesong seit 2003 bis April 2013, wenig hundert Südkoreaner arbeiten in Nordkorea, 55’000 Nordkoreaner verdienten Lohn von südkoreanischen Firmen
  • Zunehmenden Tourismus, buchbar sind fünf festgelegte Touren durch das Land, (während dem Aufenthalt in Nordkorea dürfen Mobiltelefone nur mit einer speziellen SIM-Karte benutzt werden, Fotografiert werden darf nur mit Erlaubnis, Gespräche mit der Bevölkerung sind untersagt.)
  • Schmuggel- und Schattenwirtschaft an der chinesischen Grenze
  • Nordkoreanische Holzarbeiter-Camps in Sibirien
  • Nordkorea als Teilnehmende Nation an internationalen Wettkämpfen (z.B. Olympische Spiele) oder als Artisten in westlichen Zirkusshows
  • Sehr vereinzelte ausländische Firmen, die sich in Nordkorea niederlassen oder Aufträge erledigen (z.B. Bau eine Vergnügungsparks, geplante Übernahme eines Hotels in Pjöngjang, April 2013 abgesagt)

Dadurch steigt die Anzahl Nordkoreaner, die über die wahren Zustände der Welt informiert sind und so ihr Regime von einer anderen Seite kennenlernen.

In Nordkorea selbst berichten Medien über Nordkorea besser als über alle anderen Länder, die meisten Menschen glauben, die Welt sei anderswo schlimmer. Flüchtlinge erzählen, sie hätten niemals geahnt, dass es Strassen mit Geschäften, Restaurants, Leuchtreklamen, Reisefreiheit etc. geben könne. Vom Ausland werden in Nordkorea seit 60 Jahren nur Armeen im Krieg, Obdachlose, Krankheiten etc. gezeigt.

Wer unerlaubt mit Touristen spricht, ein abgeworfenes Flugblatt (von Fluchthelfer-Organisationen aus Südkorea mit Ballons nach Norden geweht) aufliest, verschwindet in einem der Konzentrationslager, über welche die meisten Nordkoreaner selbst nichts wissen (sie dürfen im eigenen Land nur mit Genehmigung unter Angabe von Weg und Ziel reisen). Kontakte, die sich zwischen einer Reisegruppe aus Schweizer Parlamentariern und nordkoreanischen Botschaftsangestellten und Tourismusführern ergeben haben, zeigen, dass der wahre Zustand des Landes der eigenen Bevölkerung unbekannt ist. Das betrifft nicht nur die Konzentrationslager, sondern auch ein heruntergekommenes Waisenhaus, für welches Spenden aus der Schweiz erhofft werden, welches diese Reisegruppe zu besuchen verlangte, was erst nach einigen Verhandlungen möglich war. Wortlaut eines Parlamentariers: „Die Tourismusführer machten lange Gesichter, als sie sahen, dass es so etwas in ihrem Land überhaupt gibt.“

Zudem gilt die Sippenhaftung, bis zur dritten Generation. Das heisst, wenn ein Botschafter, ein Sportler, ein Tourismusführer sich zu sehr mit Fremden austauscht, wenn ein Sohn, eine Tochter flieht, verschwinden auch Nachkommen und Vorfahren. Flieht jemand aus einem Konzentrationslager, wird seine Familie umgebracht. Da wird fast jeder loyal.

Matthias Hauser, 14. April 2013