Ja zur Fristenregelung

Beginn des Lebens ist ein fliessender Prozess

Es gibt keinen Grund, den in ihrer Situation vernünftige Entscheid betroffener Frauen mit dem Strafgesetz zu regeln. Selbst die Natur macht es uns in dieser Sache nicht so einfach.

Es wäre gar simpel, wenn das Leben mit dem Verschmelzen von Spermium und Ei starten würde. Viel eher ist der Beginn des Lebens ein fliessender Prozess. Zwei einzelne, je komplette Erbinformationen finden in einer Eizelle zusammen und vermischen sich. Die Zelle beginnt sich zu teilen. Ungefähr sechs Tage lang dauert es nur schon, bis die mikroskopisch kleine kugelige Zellkolonie ihren Platz an der Gebärmutterwand gefunden hat. Nun beginnen sich langsam, zuerst durch Ein- und Umstülpen der Kugeloberfläche, Organe zu formen und diese beginnen zu arbeiten. Erst zwischen der achten und der zwölften Schwangerschaftswoche ist aus der Zellkolonie ein ca. 6cm grosser Körper entstanden. Damit findet auch die natürliche Selektionsphase ein Ende: Ob eine Schwangerschaft glücklich enden wird entscheidet sich in der Natur ohne bewusstes menschliches Zutun meistens während der Embryonalphase.

Ab jetzt ist im Mutterleib Wachstum das Motto, man spricht nicht mehr von Embryo, sondern von Fötus. Weitere Termine sind die Geburt oder später die Entfaltung des Bewusstseins und der Erinnerung, nach zirka einem Lebensjahr.

Ein scharfer Moment in einer unscharfen Entwicklung

Welches ist der Moment, indem das Menschsein beginnt? Welches ist der Moment, nach welchem man nicht mehr von „Verhinderung eines werdenden Lebens“ sondern wirklich von Tötung, der „Vernichtung seienden Lebens“, sprechen darf? Die Vorlage zur Fristenlösung vom 2. Juni fordert uns auf, diesen Moment zu definieren.

Genauso absurd es wäre, diesen Moment erst beim Einsetzen der bewussten Erinnerung festzulegen, genauso absurd ist es auch, bereits von Mensch zu sprechen, nur weil sich zwei fremde DNA-Stränge in einer Eizelle treffen. Die 12. Woche nach der letzten Periode vor der Schwangerschaft ist ein klug und nicht zufällig gewählter Zeitpunkt. Die Schwangerschaft befindet sich dort zwischen der achten und zwölften Woche, die Formung geht in Wachstum über, auch die Zeit der natürlichen Selektion ist vorüber. Unproblematisch ist dieser Zeitpunkt nicht, denn es wird ein scharfer Moment festgelegt, in einer von Embryo zu Embryo und gar von Organ zu Organ und von Zelle zu Zelle unterschiedlichen Entwicklung. Der Moment wird meistens ein bisschen zu spät oder ein bisschen zu früh sein. Aber es gibt keine vernünftigere Lösung. Und einfach nur der Klarheit wegen einen klar falschen Moment, wie zum Beispiel die Befruchtung, zu wählen, wäre tragisch, denn dadurch werden eigentlich Unschuldige (Frauen, die abgetrieben haben) schuldig (und zwar der Tötung).

Einem Menschen muss man den freien Willen über den eigenen Körper und die eigene Fortpflanzung gestatten

Bei einer Abtreibung darf man nicht von Tötung sprechen. Nicht über ein wehrloses Leben, sondern über ein Leben, das noch nicht entstanden ist, wird entschieden. Deshalb ist eine Abtreibung innerhalb der vorgeschlagenen Frist auch keine Sache des Strafgesetzbuches, sondern der persönlichen Freiheit: Fast schon ein Menschenrecht. Einem Menschen muss man den freien Willen über die eigene Fortpflanzung und den eigenen Körper gestatten.

Eine Abtreibung ist kein einfacher Entscheid, immerhin wird ein Leben verhindert. Es werden Zellen entfernt, aus denen einmal ein Mensch entstehen würde, ein Mensch in seiner ganzen Pracht, mit vielen Möglichkeiten. Den betroffene Frauen werden in der Beratung deshalb Alternativen aufgezeigt. Doch schlussendlich kennen sie ihre eigene Situation, Gefühle, Wünsche und die sozialen Möglichkeiten am besten. Es kann vernünftiger sein, solange Zeit dazu ist, zu verhindern, dass ein unerwünschtes Kind in einer ungeeigneten Situation zur Welt kommt. Die Betroffenen tragen die Verantwortung letztlich alleine (mit oder ohne Strafgesetz) und brauchen daher auch die Freiheit für den Entscheid.

Fristenlösung: Ja , Initiative: Nein

 Einer Änderung des Strafgesetzbuches (Schwangerschafts­abbruch) sollte am 2. Juni dringend zugestimmt werden. Bei der Initiative „Für Mutter und Kind“ würde ich zur Abtreibung raten, bevor sie Verfassung wird und als unzeitgemässes Gesetz das Licht der Welt erblickt.

 

Matthias Hauser, Hüntwangen