Frühes Sprachenlernen: Nicht besser, nur anders

Allenthalben wird bei der Einführung des Frühenglischen an den Zürcher Primarschulen damit argumentiert, dass der frühe Fremdsprachenerwerb „besser“ sei, als der Späte, da die Fähigkeit zum Erlernen von Fremdsprachen mit zunehmenden Alter abnehme. Diese Argumentation ist irrig. Selbst Linguist Prof. Dr. Georges Lüdi, Vordenker der Erziehungsdirektorenkonferenz in Sachen Fremdsprachenunterricht, gesteht dies ein.

Zuerst aber zu Randbedingungen, die nichts mit Herrn Lüdi zu tun haben: Damit das frühe Fremdsprachenlernen nachhaltig wirksam ist, müssten rund 25% der Unterrichtszeit in der Fremdsprache gesprochen werden. Diese unbestrittene Tatsache wird in der Zürcher Volksschule nicht umgesetzt, da sonst – diese Überlegung ist natürlich richtig – namentlich Deutsch- und Mensch- und Umwelt zu viel an Begriffsbildung einbüssten. Statt ein Sprachbad, wie dies etwa Kinder erleben, welche sich in einem Land mit fremder Sprache integrieren, erwarten unsere Kinder zwei isolierte Lektionen Englisch pro Woche.

Weiter wird im Sprachenlernen weniger als früher Schriftlichkeit angestrebt, vielmehr geht es um Kommunikation – Motto: „Hauptsache, man versteht´s“. In der Arbeitswelt hingegen und immer dort, wo es im Leben wirklich wichtig wird, ist schriftliche Formulierung und korrektes Mündlich gefragt, folglich sollten diese Kompetenzen auch Ziel der Sprachbildung in der Volksschule bleiben! Wie sieht es nun aus, mit dem Sinn des frühen Spracherwerbs, wenn man eine korrekte Sprache zum Ziel hat?

Auf mein konkretes Nachfragen hin, gibt Prof. Dr. Georges Lüdi zu, dass die Art des Spracherwerbs mit zunehmendem Alter nicht ab- sondern umgebaut wird. Vom rein unbewussten zum bewussten Prozess. Der Umbau hat gemäss Lüdi folgende Ursachen:

  1. die Tatsache, dass bereits ein sprachliches System vorhanden ist (Zweitspracherwerb ist nicht gleich doppeltem Erstspracherwerb)
  2. die Entwicklung allgemeiner kognitiver Fähigkeiten
  3. eine immer prägender werdende „Lernertypologie“

Wenn eine erste Sprache beherrscht wird (1), wenn die denkerischen Fähigkeiten zunehmen (2) und je mehr man in der Lage ist, gemäss seinem eigenen Lerntyp zu lernen (3), desto effizienter klappt Fremdsprachenlernen. Also geht es später besser.

Doch widerspricht dies nicht der oft zitierten Alltagserfahrung, dass Kleinkinder Sprachen beiläufig lernen, eine, zwei gar drei Sprachen gleichzeitig? Nein – erstens weil es im Privatleben im Gegensatz zur Schule um wirkliche „Vollzeit-Sprachbäder“ geht und zweitens, weil noch kein Kind nach sechs Jahren Sprachbad einfach so Briefe schreiben konnte und die Sprachstrukturen beherrschte. Selbst um die Muttersprache korrekt anwenden zu können, müssen insgesamt neun Schuljahre investiert werden, mehr als in der Erwachsenenbildung zur Erreichung eines anerkannten Examens in Fremdsprache veranschlagt wird. Der Satz je früher, desto besser stimmt auch in der Alltagserfahrung nicht, sofern man sich Exzellenz zum Ziel macht und nicht zur Schule geht, bloss um Plaudern zu lernen.