Die Gesellschaft wird immer älter, die Politik immer jünger

Alt + Parteimitglied = out? Offensichtlich haben ältere Menschen geringere Wahlchancen. In letzter Zeit habe ich mich zwei Mal für ältere Kandidaten stark gemacht. Beide wurden nicht gewählt. Einige Freunde haben das vorausgesehen. Sie sagten: «Die Kandidatin ist bald 65 Jahre alt, andere werden pensioniert in diesem Alter – ich wähle die Jüngere!». Oder bei den Nationalratswahlen: «Die Alten sollen den Jungen Platz machen!». U35 wird eher gewählt als Ü60. Doch die Frage sei erlaubt: Ist diese Entwicklung klug?

Nun, die Menschen leben heute durchschnittlich länger und bleiben länger fit, als vor dreissig Jahren. Der Anteil der über 65jährigen in unserer Gesellschaft wuchs von 1980 bis 2014 von 13.9 auf 17.8%. Wir müssen über das AHV-Alter diskutieren. Obwohl auch der Anteil Frühpensionierter steigt («noch etwas vom Leben haben» oder keine Stelle mehr in diesem Alter), gibt es immer mehr Aufgaben für Seniorinnen und Senioren (z.B. als Unterstützung in Schulzimmern), die engagiert erledigt werden. Die Gesellschaft wird älter, die Politik jünger.

Auch die Frage, wer mehr Zeit für ein politisches Amt aufbringen könnte, spricht eher für Grosseltern, als für die Generation, die in einem verglichen mit früher hektischeren Berufsalltag und fragileren Familienleben steckt. Jüngere können mit einigen Ausnahmen dann viel Amtszeit aufwenden, wenn entweder kein Beruf ausserhalb der Politik oder keine Familienpflichten vorhanden sind. Diese Fälle werden vom Alter mit breiter Lebenserfahrung übertrumpft. Urvölker wurden nicht umsonst von Ältestenräten geführt.

Ich will keine Ältestenräte. Es braucht das kreative Stossen künftiger Generationen, wenn es um die Zukunft der Gesellschaft geht. Politische Gremien und auch Parteien reüssieren nur mit Erneuerung, Generationmix ist Bereicherung. Sesselkleber sind aber nicht immer die Älteren. Aktiv, vernünftig und fit muss jemand sein. Um dies zu erreichen, einfach die Ü65 nicht mehr wählen, ist ein zu einfaches Rezept.

Einfache Argumente zählen bei Gemeinde- und Bezirkswahlen auch gegenüber Parteimitgliedern: Als stünde auf deren Stirn ein Logo und kämen aus dem Mund Parteiparolen. «Ich kann keiner Partei beitreten, keine entspricht meiner Meinung, ich will differenziertere Kandidaten», «Parteimitglieder schauen nur für ihre Partei, statt für alle!» So die Vorurteile. Sie sind falsch: Untersucht man auf www.smartvote.ch Politiker aus einer gleichen Partei, sieht man rasch, dass sich deren Meinungen zwischen 60% und 95% decken. Nicht 100%. Und eine Parteimitgliedschaft verpflichtet nicht dazu, keine eigene Meinung zu haben.

Ich durfte feststellen, dass einzelne Parteilose gerade so gut in der SVP sein könnten, wie ich selber. Da sie es nicht sind, fehlt Transparenz über die ungefähre Meinung, und so erhalten Parteilose auch Stimmen von Menschen, die komplett anderer Meinung sind. Sie werden von Links den Bürgerlichen vorgezogen und von den Bürgerlichen den Linken. Gewählt nicht für sich, sondern zur Verhinderung von anderen. Muss ein gutes Gefühl sein.

Was daran für die Gesellschaft wertvoller sein soll als ehrliches Farbe bekennen mittels Vereinen, die seit Jahren staatstragende Verantwortung übernehmen – eben den Parteien – ist mir schleierhaft.

(Erschienen im Wochenspiegel vom 2. März 2016)